Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz MV 24.05.2025 (Güstrow) |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | Rolf Martens (KV Vorpommern-Rügen) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 25.04.2025, 18:21 |
V12: Pflege und gesundheitliche Versorgung sozial gerecht gestalten
Antragstext
Unser Gemeinwesen in Mecklenburg-Vorpommern steht vor erheblichen gesundheits-
und sozialpolitischen Herausforderungen. Diese werden maßgeblich auch durch den
demographischen Wandel hervorgerufen bzw. deutlich durch diesen verschärft. Die
Bevölkerungszahl wird bis 2045 landesweit betrachtet um etwa sechs Prozent
abnehmen, wobei sich diese Entwicklung regional und in den diversen
Altersgruppen sehr unterschiedlich darstellt. Während die kreisfreien Städte
Rostock und Schwerin sowie ihr Umland teilweise Bevölkerungszuwächse verzeichnen
werden, müssen sich die ländlichen Regionen auf eine noch stärkere Abwanderung
und eine weiter zunehmende Überalterung einstellen. Jeder fünfte Mensch in MV
ist älter als 65, im Jahr 2030 wird es fast jeder dritte sein.
Die Landesdelegiertenkonferenz stellt fest:
- Die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Mecklenburg-Vorpommern steigt
kontinuierlich an. Während 2015 noch ca. 79.000 Menschen pflegebedürftig
waren, sind es heute, 2024, schon etwa 129.000 und in 15 Jahren, im Jahr
2040, etwa 152.000.
- Die Anzahl der verfügbaren Fachkräfte im Pflege- und Gesundheitswesen in
Mecklenburg-Vorpommern ist mit steigender Tendenz unzureichend. Von den
aktuell etwa 13.000 Beschäftigten in der ambulanten und den 17.000
Beschäftigten in der stationären Pflege gehen in den kommenden zehn Jahren
etwa 20 Prozent in den Ruhestand und müssen ersetzt werden. Bundesweit ist
bis 2044 mit einer Lücke von etwa 600.000 Pflegekräften zu rechnen. Bei
Fortsetzung der derzeitigen Organisationsstrukturen werden in Mecklenburg-
Vorpommern 2045 nur noch 42 Prozent des benötigten Personals in der
Altenpflege verfügbar sein.
- Pflegende Angehörige sind bereits heute viel zu oft mit zu schlechten
Rahmenbedingungen und enormer Beanspruchung konfrontiert, die bis zur
Überforderung reichen können.
- Auch informelle Pflegenetzwerke abseits der Familien, in Nachbarschaften,
Freundschaften und über ehrenamtliche Vereine, engagieren sich bereits oft
über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus.
- Die wirtschaftliche Situation der über 500 ambulanten Pflegedienste ist
weiterhin massiv angespannt.
- Der Notstand in der Pflege spitzt sich durch die Abwanderung jüngerer
Menschen weiter zu.
- Die Menschen in den ländlichen Regionen sind überproportional von
Praxisschließungen, langen Wegen zu Fachärzt*innen und einer
unzureichenden Notfallversorgung betroffen. Dadurch manifestieren sich
abseits der größeren Städte geringere Zugangschancen zu Pflegeangeboten,
Gesundheitsleistungen und sozialer Teilhabe.
- Besonders betroffen davon sind ältere Menschen in den Städten und im
ländlichen Raum, die marginalisierten Gruppen angehören, unter anderem
ältere Menschen mit geringem Einkommen, Alleinstehende und Menschen mit
Behinderungen.
Auch in dieser schwierigen Lage gilt:
Für uns BÜNDNISGRÜNE ist die Würde aller Menschen in allen Altersgruppen in
allen Regionen und in allen gesundheitlichen Lagen unverhandelbar. Wir haben den
Anspruch, allen älteren Menschen eine gute Pflege, eine umfassende
gesundheitliche Versorgung, soziale Sicherheit und eine hohe Lebensqualität zu
ermöglichen, indem wir den dafür nötigen Rahmen schaffen.
Die Landesdelegiertenkonferenz fordert:
Die Pflegelandschaft stärken - Angebote flächendeckend sichern
- Weiterentwicklung und Ausbau der aktuell 19 Pflegestützpunkte in MV zu
einem Pflege-Netzwerk mit mobilen Teams, die präventive Hausbesuche,
Beratung und Koordination von Pflegeleistungen auch in ländlichen Räumen
sicherstellen.
- Beschleunigung und Verbesserung der Anerkennungsverfahren für ausländische
Berufsabschlüsse und mehr Möglichkeiten zur Nachqualifikation.
- Förderung der Arbeit multiprofessioneller Teams aus Pflegefachpersonal,
Ärzt*innen und Gesundheitsfachberufen unter Einbeziehung von Angehörigen.
- Förderung der Digitalisierung der Pflege mit Schwerpunkt auf
telemedizinische Unterstützung, digitale Dokumentation und
Assistenzsysteme für häusliche Pflege.
- Die in MV vorhandenen Ausbildungskapazitäten effektiver als bisher zur
Gewinnung von Fachkräften für MV nutzen. Hierzu Steigerung der
Attraktivität der Ausbildungsformen und Erhöhung der Anreize, nach der
Ausbildung in MV zu bleiben u.a. durch bessere und geschlechtergerechte
Löhne.
- Einrichtung eines Landesnetzwerks für Pflegeforschung und -innovation.
- Förderung gemeinschaftlicher Pflegekonzepte in unterversorgten Regionen,
nachbarschaftlicher Unterstützungsstrukturen, von Pflege-WGs,
intergenerativem, integriertem und betreuten Wohnen sowie
Seniorentagesstätten mit Pflegeangebot.
- Sicherstellung einer bedarfsgerechten Anzahl an Kurzzeitpflegeplätzen in
jedem Landkreis.
- Förderung der kultursensiblen Pflege durch spezielle
Qualifizierungsangebote und Unterstützung mehrsprachiger
Beratungsangebote.
Gesundheitliche Versorgung für alle erreichbar machen - niemand wird abgehängt
- Aufbau eines flächendeckenden Netzes von regionalen Gesundheitszentren mit
interdisziplinären Teams aus Ärzt*innen, Pflegekräften und Therapeut*innen
in jedem Mittelzentrum.
- Etablierung von „Community Health Nurses" in jedem Landkreis zur besseren
Versorgung in der Fläche.
- Förderung von mobilen Praxen und der Mobilität des ärztlichen und
pflegerischen Personals in unterversorgten Gebieten.
- Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung durch Modellprojekte nach
§ 64a SGB V mit besonderem Fokus auf chronisch Kranke und multimorbide
Patient*innen. Evaluierte und bewährte Modellprojekte werden in die
Regelversorgung übernommen.
- Gewährleistung einer flächendeckenden psychotherapeutischen Versorgung mit
direktem Zugang zu psychotherapeutischen Hilfsangeboten, sowie ein
konsequentes Überwinden der Hürden in der Ausbildung von
Psychotherapeut*innen in MV.
- Eine 1zu1-Betreuungsgarantie durch Hebammen unter der Geburt für alle
Frauen, eine umfassende Förderung freiberuflicher Hebammenhilfe sowie der
Erhalt aller noch vorhandenen Geburtskliniken in MV.
- Umfassende Stärkung der Gesundheitskompetenz „in der Bevölkerung“, „durch
effektive, zielgruppengerechte Informationskonzepte“ und durch höhere
Kommunikationskompetenz der im Gesundheitswesen Tätigen.
- Förderung der kommunalen Gesundheitsplanung (ÖGD) durch die Verpflichtung,
regionale Gesundheitskonferenzen unter Beteiligung aller relevanten
Akteur*innen durchzuführen.
Sozial gerecht handeln - den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern
- Einrichtung von Sozialberatungszentren, in denen sich alle Menschen
barrierefrei darüber informieren können, welche staatlichen Leistungen sie
in Anspruch nehmen können.
- Digitale Teilhabe für alle durch Schulungen und Leihgeräte für ältere und
einkommensschwache Menschen zur Nutzung telemedizinischer Angebote -
flächendeckende Einrichtung von sog. Gesundheitskiosken.
- Förderung der Ausbildung von Gesundheitslots*innen in sozialen
Brennpunkten und ländlichen Gemeinden zur Unterstützung bei der Navigation
durch das Gesundheitssystem.
- Einführung eines Landesprogramms zur Barrierefreiheit in allen
Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen mit konkreten Zeitvorgaben und
finanzieller Unterstützung.
- Förderung von Selbsthilfegruppen, Patientenorganisationen und
Beratungsstrukturen mit besonderem Fokus auf ländliche Regionen.
- Entwicklung eines Konzepts „Gesunde Quartiere" zur Förderung
gesundheitsförderlicher Lebenswelten in benachteiligten Stadtteilen und
kleinen Gemeinden.
- Einrichtung eines Landesfonds zur Unterstützung pflegender Angehöriger mit
Entlastungsangeboten, Beratung und finanzieller Hilfe.
Begründung
Um die Pflege und die Gesundheitsversorgung für alle Bürger*innen in Mecklenburg-Vorpommern sozial gerecht und unter den Vorzeichen des demographischen Wandels auch zukunftssicher zu gestalten, ist entschlossenes und ebenenübergreifendes politisches Handeln erforderlich.
Der vorliegende Antrag verfolgt daher das Ziel, BÜNDNISGRÜNE Grundwerte, wie etwa aus dem Grundsatzprogramm, welches Gesundheit als Menschenrecht und soziale Gerechtigkeit als Grundpfeiler unserer Politik definiert, und die Beschlusslage unseres Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern (vgl. u.a. „Grünes Land – Programm für zukunftsfähige ländliche Räume in MV" (04/2023), „Wir machen MV mobil und fit für die Herausforderungen der Zukunft" (09/2023), „Ambulante Pflege in MV stärken" (09/2023) und „Demokratie verteidigen - Rechtsextremismus und soziale Ungleichheit bekämpfen" (04/2024) speziell in Hinblick auf eine sozial gerechte Gesundheits- und Pflegepolitik auf aktueller Basis zusammenzuführen und anzureichern.
Mit diesem umfassenden Maßnahmenpaket zeigen wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MV vielfältige, ganz konkrete Lösungsvorschläge auf, um die Herausforderungen des demographischen Wandels in Mecklenburg-Vorpommern zu bewältigen und eine sozial gerechte Gesundheits- und Pflegeversorgung dauerhaft für alle Menschen in diesem Land zu gewährleisten.
Wir werden nicht hinnehmen, dass sich die Älteren, die bereits heute und längerfristig auf Pflege- und Gesundheitsleistungen angewiesen sind, viel zu oft mit quälenden Fragen zu Pflegeplätzen, Pflegepersonal und Pflegekosten befassen müssen. Oder damit, in hohem Alter noch umziehen zu müssen in eine besser versorgte Region. Die Versorgung im gewohnten Lebensumfeld ist für viele Menschen zum Erhalt ihrer Lebensqualität und ihrer sozialen Bezüge existentiell. Die mit der sich weiter zuspitzenden Lage einhergehende Verunsicherung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen führt auch zu Unzufriedenheit und wachsenden Ängsten vor der Zukunft.
Auch die mittleren Altersgruppen, die noch Zeit haben, bis sie ggf. Pflegeleistungen benötigen, betrachten die demographische Entwicklung ebenfalls mit großer Sorge: Sie können die Verantwortung für ihre Eltern oft kaum tragen, weil sie nicht genug Zeit haben, die Löhne häufig zu gering und Pflegeplatzkosten zu hoch sind. Sie sehen sich nicht selten gezwungen, in Regionen abzuwandern, in denen die Arbeitsbedingungen besser sind, dann sind sie aber auch nicht mehr in der Nähe ihrer Eltern.
Und diejenigen, die in den Pflege- und Gesundheitsberufen arbeiten, tun dies bereits jetzt sehr häufig über ihre Belastungsgrenzen hinaus, dies bei oftmals nicht auskömmlicher und nicht geschlechtergerechter Vergütung. Die Suche nach einem anderen Betätigungsfeld sowie vielfältige Erkrankungsformen von körperlichen Beeinträchtigungen bis hin zu psychischen Erkrankungen sind die für diese Gruppe von Betroffenen erwartbare Konsequenzen. Niemandem ist zuzumuten, diese Entwicklung tatenlos hinzunehmen. Die aktuellen Belastungen sind massiv, eine weitere Verschlechterung der Situation ist unzumutbar.
Unterstützer*innen
- Dr. Harald Terpe (KV Rostock)
- Prof. Dr. Robin Wilkening (KV Rostock)
- Dr. Elke Rohde-Baran (KV Vorpommern-Rügen)
- Dr. Friederike Fiss (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Kathrin Stricker (KV Vorpommern-Greifswald)
- Claudia Tamm (KV Nordwestmecklenburg)
- Steffen Kühhirt (KV Nordwestmecklenburg)
- Thomas Mehnert (KV Vorpommern-Rügen)
- Lisa Martens (KV Vorpommern-Rügen)
- Denis Wermuth (KV Vorpommern-Rügen)
- Jenny Stancke (KV Vorpommern-Rügen)
- Constanze Erler (KV Vorpommern-Rügen)
- Katharina Horn (KV Vorpommern-Greifswald)
- Anja Eggert (KV Rostock)
- Marc Steinbach (KV Schwerin)
- Ann-Sophie Hinz (KV Vorpommern-Rügen)
- Lea Wolff (KV Vorpommern-Rügen)
- Nicholas Ehlers (KV Vorpommern-Rügen)
- Beatrice Wagner (KV Vorpommern-Rügen)
- Laura Popin (KV Vorpommern-Rügen)
- Carolin Roth (KV Rostock)
- Enrico Barsch (KV Landkreis Rostock)
- Barbara-Marie Mundt (KV Ludwigslust-Parchim)
- Clemens Wloczka (KV Rostock)
- Antje Brandt (KV Ludwigslust-Parchim)
- Gabriele Raasch (KV Ludwigslust-Parchim)
- Jasper Bernstorff (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Björn Suhr (KV Vorpommern-Rügen)
- Pamela Dorsch (KV Vorpommern-Rügen)
- Silvia Schlage (KV Rostock)
- Henryk Henning (KV Vorpommern-Greifswald)
- Falk Pollehne (KV Nordwestmecklenburg)
- Tommy Klein (KV Ludwigslust-Parchim)
- Judith Göbel (KV Ludwigslust-Parchim)