Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz MV 24.05.2025 (Güstrow) |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Verschiedene Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 24.05.2025 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Pflege und gesundheitliche Versorgung sozial gerecht gestalten
Beschlusstext
Unser Gemeinwesen in Mecklenburg-Vorpommern steht vor erheblichen gesundheits-
und sozialpolitischen Herausforderungen. Diese werden maßgeblich auch durch den
demographischen Wandel hervorgerufen bzw. deutlich durch diesen verschärft. Die
Bevölkerungszahl wird bis 2045 landesweit betrachtet um etwa sechs Prozent
abnehmen, wobei sich diese Entwicklung regional und in den diversen
Altersgruppen sehr unterschiedlich darstellt. Während die kreisfreien Städte
Rostock und Schwerin sowie ihr Umland teilweise Bevölkerungszuwächse verzeichnen
werden, müssen sich die ländlichen Regionen auf eine noch stärkere Abwanderung
und eine weiter zunehmende Überalterung einstellen. Jeder fünfte Mensch in MV
ist älter als 65, im Jahr 2030 wird es fast jeder dritte sein.
Die Landesdelegiertenkonferenz stellt fest:
- Die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Mecklenburg-Vorpommern steigt
kontinuierlich an. Während 2015 noch ca. 79.000 Menschen pflegebedürftig
waren, sind es heute, 2024, schon etwa 129.000 und in 15 Jahren, im Jahr
2040, etwa 152.000.
- Die Anzahl der verfügbaren Fachkräfte im Pflege- und Gesundheitswesen in
Mecklenburg-Vorpommern ist mit steigender Tendenz unzureichend. Von den
aktuell etwa 13.000 Beschäftigten in der ambulanten und den 17.000
Beschäftigten in der stationären Pflege gehen in den kommenden zehn Jahren
etwa 20 Prozent in den Ruhestand und müssen ersetzt werden. Bundesweit ist
bis 2044 mit einer Lücke von etwa 600.000 Pflegekräften zu rechnen. Bei
Fortsetzung der derzeitigen Organisationsstrukturen werden in Mecklenburg-
Vorpommern 2045 nur noch 42 Prozent des benötigten Personals in der
Altenpflege verfügbar sein.
- Pflegende Angehörige sind bereits heute viel zu oft mit zu schlechten
Rahmenbedingungen und enormer Beanspruchung konfrontiert, die bis zur
Überforderung reichen können.
- Auch informelle Pflegenetzwerke abseits der Familien, in Nachbarschaften,
Freundschaften und über ehrenamtliche Vereine, engagieren sich bereits oft
über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus.
- Die wirtschaftliche Situation der über 500 ambulanten Pflegedienste ist
weiterhin massiv angespannt.
- Der Notstand in der Pflege spitzt sich durch die Abwanderung jüngerer
Menschen weiter zu.
- Die Menschen in den ländlichen Regionen sind überproportional von
Praxisschließungen, langen Wegen zu Fachärzt*innen und einer
unzureichenden Notfallversorgung betroffen. Dadurch manifestieren sich
abseits der größeren Städte geringere Zugangschancen zu Pflegeangeboten,
Gesundheitsleistungen und sozialer Teilhabe.
- Besonders betroffen davon sind ältere Menschen in den Städten und im
ländlichen Raum, die marginalisierten Gruppen angehören, unter anderem
ältere Menschen mit geringem Einkommen, Alleinstehende und Menschen mit
Behinderungen.
Auch in dieser schwierigen Lage gilt:
Für uns BÜNDNISGRÜNE ist die Würde aller Menschen in allen Altersgruppen in
allen Regionen und in allen gesundheitlichen Lagen unverhandelbar. Wir haben den
Anspruch, allen älteren Menschen eine gute Pflege, eine umfassende
gesundheitliche Versorgung, soziale Sicherheit und eine hohe Lebensqualität zu
ermöglichen, indem wir den dafür nötigen Rahmen schaffen.
Die Landesdelegiertenkonferenz fordert:
Die Pflegelandschaft stärken - Angebote flächendeckend sichern
- Weiterentwicklung und Ausbau der aktuell 19 Pflegestützpunkte in MV zu
einem Pflege-Netzwerk mit mobilen Teams, die präventive Hausbesuche,
Beratung und Koordination von Pflegeleistungen auch in ländlichen Räumen
sicherstellen.
- Beschleunigung und Verbesserung der Anerkennungsverfahren für ausländische
Berufsabschlüsse und mehr Möglichkeiten zur Nachqualifikation.
- Förderung der Arbeit multiprofessioneller Teams aus Pflegefachpersonal,
Ärzt*innen und Gesundheitsfachberufen unter Einbeziehung von Angehörigen.
- Förderung der Digitalisierung der Pflege mit Schwerpunkt auf
telemedizinische Unterstützung, digitale Dokumentation und
Assistenzsysteme für häusliche Pflege.
- Die in MV vorhandenen Ausbildungskapazitäten effektiver als bisher zur
Gewinnung von Fachkräften für MV nutzen. Hierzu Steigerung der
Attraktivität der Ausbildungsformen und Erhöhung der Anreize, nach der
Ausbildung in MV zu bleiben u.a. durch bessere und geschlechtergerechte
Löhne.
- Einrichtung eines Landesnetzwerks für Pflegeforschung und -innovation.
- Förderung gemeinschaftlicher Pflegekonzepte in unterversorgten Regionen,
nachbarschaftlicher Unterstützungsstrukturen, von Pflege-WGs,
intergenerativem, integriertem und betreuten Wohnen sowie
Seniorentagesstätten mit Pflegeangebot.
- Sicherstellung einer bedarfsgerechten Anzahl an Kurzzeitpflegeplätzen in
jedem Landkreis.
- Förderung der kultursensiblen Pflege durch spezielle
Qualifizierungsangebote und Unterstützung mehrsprachiger
Beratungsangebote.
Gesundheitliche Versorgung für alle erreichbar machen - niemand wird abgehängt
- Aufbau eines flächendeckenden Netzes von regionalen Gesundheitszentren mit
interdisziplinären Teams aus Ärzt*innen, Pflegekräften und Therapeut*innen
in jedem Mittelzentrum.
- Etablierung von „Community Health Nurses" in jedem Landkreis zur besseren
Versorgung in der Fläche.
- Förderung von mobilen Praxen und der Mobilität des ärztlichen und
pflegerischen Personals in unterversorgten Gebieten.
- Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung durch Modellprojekte nach
§ 64a SGB V mit besonderem Fokus auf chronisch Kranke und multimorbide
Patient*innen. Evaluierte und bewährte Modellprojekte werden in die
Regelversorgung übernommen.
- Gewährleistung einer flächendeckenden psychotherapeutischen Versorgung mit
direktem Zugang zu psychotherapeutischen Hilfsangeboten, sowie ein
konsequentes Überwinden der Hürden in der Ausbildung von
Psychotherapeut*innen in MV.
- Eine 1zu1-Betreuungsgarantie durch Hebammen unter der Geburt für alle
Frauen, eine umfassende Förderung freiberuflicher Hebammenhilfe sowie der
Erhalt aller noch vorhandenen Geburtskliniken in MV.
- Umfassende Stärkung der Gesundheitskompetenz „in der Bevölkerung“, „durch
effektive, zielgruppengerechte Informationskonzepte“ und durch höhere
Kommunikationskompetenz der im Gesundheitswesen Tätigen.
- Förderung der kommunalen Gesundheitsplanung (ÖGD) durch die Verpflichtung,
regionale Gesundheitskonferenzen unter Beteiligung aller relevanten
Akteur*innen durchzuführen.
Sozial gerecht handeln - den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern
- Einrichtung von Sozialberatungszentren, in denen sich alle Menschen
barrierefrei darüber informieren können, welche staatlichen Leistungen sie
in Anspruch nehmen können.
- Digitale Teilhabe für alle durch Schulungen und Leihgeräte für ältere und
einkommensschwache Menschen zur Nutzung telemedizinischer Angebote -
flächendeckende Einrichtung von sog. Gesundheitskiosken.
- Förderung der Ausbildung von Gesundheitslots*innen in sozialen
Brennpunkten und ländlichen Gemeinden zur Unterstützung bei der Navigation
durch das Gesundheitssystem.
- Einführung eines Landesprogramms zur Barrierefreiheit in allen
Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen mit konkreten Zeitvorgaben und
finanzieller Unterstützung.
- Förderung von Selbsthilfegruppen, Patientenorganisationen und
Beratungsstrukturen mit besonderem Fokus auf ländliche Regionen.
- Entwicklung eines Konzepts „Gesunde Quartiere" zur Förderung
gesundheitsförderlicher Lebenswelten in benachteiligten Stadtteilen und
kleinen Gemeinden.
- Einrichtung eines Landesfonds zur Unterstützung pflegender Angehöriger mit
Entlastungsangeboten, Beratung und finanzieller Hilfe.