Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz MV 24.05.2025 (Güstrow) |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | Jutta Wegner (KV Mecklenburgische Seenplatte) |
Status: | Eingereicht |
Antragshistorie: | Version 2 |
V15: Bildungsgerechtigkeit schaffen
Antragstext
Kinder sind von klein auf wissbegierig und wollen immer wieder Neues lernen. Sie
auf diesem Weg zu begleiten und zu fördern ist zuvorderst Aufgabe der Eltern.
Allerdings zeigen Bildungsstudien nach wie vor, dass Bildung in hohem Maße von
den Voraussetzungen im Elternhaus abhängig ist.
Gute Bildung ist die Grundlage für Chancengerechtigkeit. Sie kann den
Armutskreislauf durchbrechen und ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes
Leben. Wir machen uns stark, für eine inklusive, moderne und zukunftsorientierte
Bildungslandschaft in Mecklenburg-Vorpommern.
Ziel von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist deshalb, dass jedes Kind die gleichen Chancen
und Unterstützungsangebote hat und den für die eigenen Interessen und
Fähigkeiten bestmöglichen Schulabschluss erreicht. Gerade Schulen und Kitas
haben eine wichtige Aufgabe nicht nur bei der Vermittlung von Wissen, sondern
auch bei der Ausgestaltung von Bildungsgerechtigkeit.
Wir müssen für alle Kinder und jungen Menschen die bestmöglichen Bedingungen
schaffen, damit sie sich zu eigenverantwortlichen Menschen entwickeln können,
die ihr Leben in Verantwortung für sich und die Gesellschaft gestalten können.
Hierzu brauchen Schulen und Kitas aber auch die bestmöglichen Voraussetzungen.
Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den Bundesländern mit den höchsten
Schulabbruchquoten. Für die betroffenen Schüler*innen führt dies zu großen
Schwierigkeiten auf ihrem weiteren Lebensweg. Zugleich entstehen durch die hohen
Abbruchraten enorme Folgekosten in den sozialen Unterstützungssystemen und durch
Ersatzmaßnahmen wie Berufsvorbereitungsjahre. Es ist deutlich sinnvoller, diese
Gelder in gelingende Bildung zu investieren.
Gute Bildung von Anfang an bedeutet für uns:
- Mehr Personal in den Kindertageseinrichtungen
Gute Bildung beginnt in der Kita. Entscheidender Faktor für eine hohe Qualität
in unseren Kindertagesstätten ist die Fachkraft-Kind-Relation. Hier ist
Mecklenburg-Vorpommern deutschlandweit Schlusslicht. Diese Position wollen wir
endlich überwinden! Unsere Erzieher*innen brauchen mehr Zeit, die sie
unmittelbar mit dem Kind verbringen können. Der aktuelle und prognostizierte
Geburtenrückgang ist eine einmalige Gelegenheit, hier weitgehende Verbesserungen
zu ermöglichen.
Daher fordern wir bis 2030 eine schrittweise Reduzierung der Fachkraft-Kind-
Relation:
- 1:4 für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr,
- 1:10 für Kinder ab dem dritten Lebensjahr bis zum Eintritt in die Schule
sowie
- 1:17 für Hortkinder im Grundschulalter.
- Längeres gemeinsames Lernen stärkt den Bildungserfolg für alle
Alle Kinder haben ein Recht auf qualitativ hochwertige Bildung. Wir wollen, dass
der Bildungserfolg nicht von der sozialen Herkunft abhängt. Alle jungen Menschen
sollen den für sie besten Bildungsabschluss erreichen können. In kooperativen
und integrierten Gesamtschulen haben die Kinder in Mecklenburg-Vorpommern
bereits heute die Möglichkeit, länger gemeinsam zu lernen und den individuell
bestmöglichen Schulabschluss zu erreichen. Wir setzen uns für durchlässige
Bildungsgänge ein.
Dieses Modell bietet auch weitreichende Vorteile für den ländlichen Raum. Wir
wollen in Schulclustern zwei bis maximal acht Schulstandorte in geografisch
benachbarter Lage im Sinne einer Gemeinschaftsschule unter einer gemeinsamen
Leitung zusammenschließen. So können wir Schulstandorte trotz sinkender
Schüler*innenzahlen halten.
- Echte Inklusion umsetzen
Während der parteiübergreifende Inklusionsfrieden zu einigen wenigen
Leuchtturmschulen führte, sind wir von einem echten inklusiven Schulsystem in M-
V noch weit entfernt. Unser grünes Ziel sind Lernorte, in denen die Interessen
und Möglichkeiten aller Kinder berücksichtigt werden. Ob hochbegabt oder mit
sonderpädagogischem Förderbedarf, ob mit ADHS oder Sprachproblemen, ob Mathe-Ass
oder Sprachgenie, Sporttalent oder künstlerisch begabt. Schüler*innen sollen
nicht mehr aufgrund von Entscheidungen anderer bereits frühzeitig in
Bildungslaufbahnen gezwängt werden, aus denen sie nur schwer wieder
herauskommen.
Inklusion ist nicht nur umzusetzende Aufgabe nach der UN-
Behindertenrechtskonvention von 2006, sondern sie schafft, mit den notwendigen
Ressourcen ausgestattet, auch Bildungsgerechtigkeit für jedes Kind. Sie fördert
alle nach dem jeweiligen Potential und lässt kein Kind zurück. Internationale
Studien zeigen: Inklusiver Unterricht führt zu besseren Lernerfolgen für alle,
wenn die notwendigen Rahmenbedingungen gegeben sind.
In einem inklusiven Unterricht wird nicht nur die Fachkompetenz in den Blick
genommen, sondern auch die Selbst- und Sozialkompetenz. Um echte Inklusion zu
erreichen, muss Schule das Prinzip der Gleichheit und Vergleichbarkeit sowie den
Defizitgedanken hinter sich lassen. Denn jedes Kind ist anders und Lernerfolg
ist immer individuell. Es bedarf individueller, projektorientierter Lernwege,
bei denen Kinder mitentscheiden können, was, wie und wann sie lernen wollen.
Allerdings ist auch klar, dass im aktuellen Schulsystem in Mecklenburg-
Vorpommern Inklusion nur Stückwerk ist und von dem Engagement weniger abhängt.
Die Strategie der Landesregierung zur Umsetzung der Inklusion im Bildungssystem
in Mecklenburg-Vorpommern ist erneut verschoben worden. Förderschulen sind zwar
auf dem Papier aufgehoben worden, aber tatsächlich unverändert, oft nicht einmal
räumlich, als Teil einer anderen Schule zugeordnet worden. Das ist keine
Inklusion, sondern Scharade.
Wir fordern deshalb
- einen verbindlichen Plan zur Umsetzung der Inklusion an allen Schulen des
Landes
- eine Ressourcenausstattung, die den Anforderungen der Inklusion gerecht
wird
- eine Qualifizierungsoffensive für Schulleitungen und Lehrkräfte
- mehr Sonderpädagogik im Lehramtsstudium
- eine neue Lernkultur, die Teamarbeit verstärkt in den Blick nimmt, aber
auch binnendifferenzierten Unterricht.
- Schulen, die auch räumlich den Anforderungen an inklusiven Unterricht
gerecht werden.
- Multiprofessionelle Teams an allen Schulen
Zur Sicherung von Qualität sowie Bündelung von Kompetenzen und Kapazitäten
bedarf es der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Lehrkräfte, pädago-
gische Fachkräfte und Integrationshelfende arbeiten dazu mit den
außerschulischen Kooperationspartner*innen zielorientiert Hand in Hand.
Schulsozialarbeiter*innen und Schulpsycholog*innen können darüber hinaus unter
Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten in den Sozialraum wirken.
Es braucht multiprofessionelle Teams an jeder Schule – nicht nur für eine
gelingende Inklusion. Nur so können auch all jene Kinder individuell gefördert
werden, die bereits heute oft zu kurz kommen. Schüler*innen sind in allen
Schulformen keine einheitliche Gruppe, sondern zunehmend individueller. Sie
stellen Lehrkräfte vor Herausforderungen, die immer wieder neue pädagogische
Ansätze brauchen. Wir brauchen Teams anstatt einzelner Lehrkräfte, damit Klassen
geteilt werden können und lernbeeinträchtigte Kinder genauso wie hochbegabte
Kinder oder solche mit besonderen emotionalen Bedürfnissen innerhalb einer
Klasse die Aufmerksamkeit und Förderung bekommen, die eine Lehrkraft allein
nicht leisten kann. Deshalb ist es wichtig, dass multiprofessionelle Teams an
jeder Schule sind. Sie unterstützen die Schüler*innen und auch die Lehrkräfte.
Gemeinsam tragen sie Verantwortung für gelingende Bildung, sorgen aber auch
dafür, dass mental health für alle nicht nur ein Wort bleibt. Außerdem ist die
Investition in unbefristete Stellen für Schulsozialarbeiter*innen,
Schulpsycholog*innen, pädagogische Mitarbeiter*innen und Kulturvermittler*innen
unerlässlich für die präventive Bewältigung der individuellen Probleme von
Schulschwänzer*innen.
Die flächendeckende Umsetzung des Ganztagsrechtsanspruches ab dem Schuljahr
2026/2027 ist ein guter Anlass, um diese multiprofessionellen Teams an den
Schulen zu bilden. Dafür müssen Schule, Hort und außerschulische
Kooperationspartner bestmöglich im Sinne des einzelnen Kindes zusammenwirken.
Unser bevorzugtes Modell ist das eines rhythmisierten Ganztags, bei denen sich
Lern- und Erholungsphasen über den Tag verteilen.
Wir fordern
- die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens, der es ermöglicht, die auf
unterschiedliche Gesetze verteilten Zuständigkeiten im Interesse eines
chancengerechten Bildungssystems zusammenzufassen. Mecklenburg-Vorpommern
könnte in einem solchen Versuch deutschlandweit vorangehen.
- Kompetenzen bei den Schulleitungen, um im Rahmen eines Budgets neben
Lehrkräften auch weitere pädagogische Fachkräfte, Inklusionshelfende,
Schulsozialarbeiter*innen oder auch Logopäd*innen oder Ergotherapeut*innen
zu beschäftigen und in Teams zu führen.
- Zeit, um die notwendigen Abstimmungen in regelmäßigen Teammeetings
vornehmen zu können.
- Einen räumlichen Rahmen, der Unterricht in multiprofessionellen Teams
ermöglicht.
- Schulen bauen, die auch im 21. Jahrhundert noch funktionieren!
Schulgebäude sind oft noch aus dem vorigen Jahrhundert und genügen den
Anforderungen moderner Pädagogik nicht mehr. Außerdem ist der Renovierungsstau
noch immer nicht abgebaut. Die Problematik der inneren und äußeren
Schulverwaltung zeigt sich im Schulbau besonders. Die Kommunen sind zuständig
für die äußere Schulverwaltung, also Gebäude und Ausstattung, das Land für
Lehrkräfte und Lerninhalte. Allerdings fehlen den Kommunen oft die finanziellen
Mittel, um in den Schulbau zu investieren. Schulbau funktioniert nur mit
Fördermitteln, die an bestimmte Voraussetzungen gebunden sind. Eine
Schulbaurichtlinie des Landes, die endlich Anforderungen an moderne Schulgebäude
formulieren würde, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern bisher nicht.
Inklusion, Ganztag, Gemeinschaftsschulen und individuelles Lernen? Wir wollen
umsetzen, was eine moderne Bildungsgesellschaft braucht. Voraussetzung dafür
sind neben dem Personal auch zeitgemäße, barrierefreie und klimaneutrale Gebäude
und eine moderne digitale Ausstattung, die all das auch tatsächlich ermöglichen.
Wir brauchen Schulen, die Gruppenarbeiten erlauben, Platzangebote für geteilte
Klassen bieten, Kreativräume, Schulhöfe sowie Aufenthaltsräume, die dem
Bewegungsdrang der Schüler*innen genauso wie dem Rückzugsbedürfnis Raum geben.
Wir fordern deshalb:
- in Bau- und Sanierungsplanung von Schulen müssen neben im Schulbau
erfahrenen Architekt*innen und Verwaltungsmitarbeitenden auch Lehrkräfte
und Schüler*innen einbezogen werden,
- Bereitstellung der notwendigen finanziellen Ressourcen. Hierzu müssen auch
die im Bundeshaushalt in Aussicht gestellte Investitionsmittel genutzt
werden und das Land die eigenen Möglichkeiten für Zukunftsinvestitionen
auch im Bildungsbereich nutzen.
- Erstellung einer Schulbaurichtlinie durch das Land, die endlich
Anforderungen an moderne Schulgebäude formuliert.
- Lehrkräftemangel entgegenwirken, Lehramtsstudium reformieren
Unübersehbar ist, dass wir einen akuten Lehrkräftemangel haben. Damit weniger
Stunden ausfallen müssen, setzen wir uns für mehr Lehrer*innen und eine echte
Vertretungsreserve ein. Um die Attraktivität des Lehramtsstudiums zu verbessern,
unterstützen wir die Reform des Lehramtsstudiums. Im aktuellen Gesetzentwurf
muss aber neben dem Praxisanteil auch die Zahl der Mentor*innen deutlich
gesteigert werden. Für ein inklusives Schulsystem muss darüber hinaus die
sonderpädagogische Ausbildung in allen Lehramtsstudiengängen deutlich gestärkt
werden. Eine inklusive Bildungslandschaft, in der Kinder aus intrinsischer
Motivation heraus individuell lernen, erfordert Lehrkräfte, die sich zunehmend
zu Lernbegleiter*innen weiterentwickeln. Die damit einhergehende Arbeit in
multiprofessionellen Teams muss ebenfalls bereits im Studium vermittelt und
eingeübt werden. Die Attraktivität des Lehramtsstudiums könnte auch durch einen
dualen Studiengang erhöht werden. Das würde sowohl den Lehramtsstudierenden viel
früher den Zugang in die Praxis des Lehralltags ermöglichen als auch die
Verfügbarkeit an den Schulen erhöhen.
Wir fordern deshalb:
- die Erhöhung des Praxisanteils im Lehramtsstudium,
- eine verpflichtende Zahl von Mentor*innen, die Lehramtsstudierende im
Referendariat begleiten und dafür auch ausreichend Zeit bekommen. Der
Finanzierungsvorbehalt muss fallen.
- Den Anteil der sonderpädagogischen Lerninhalte in allen
Lehramtsstudiengängen zu erhöhen.
- Die schrittweise Senkung des hohen Pflichtstundensolls für Lehrkräfte
sowie
- Die Einrichtung eines Dualen Studiengangs zunächst als Modellprojekt,
perspektivisch aber als 2. Weg zum Lehramtsabschluss.
- Demokratie und politische Bildung stärken
Mitbestimmung als Grundpfeiler unserer Demokratie lässt sich nur erlernen, wenn
sie von Anfang an geübt und auch praktisch vorgelebt wird. Dafür müssen Kinder
und Jugendliche stärker an schulischen und gesellschaftlichen Prozessen
beteiligt werden. Schüler*innenvertretung und Schulkonferenz müssen gelebte
Praxis an jeder Schule sein und Schüler*innen dadurch an gelebter
Schuldemokratie teilhaben können. Die praktische Arbeit in Kinder- und
Jugendparlamenten muss aktiv ab der siebten Klasse in Projektform gefördert und
in die Lehrpläne integriert werden. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, die
politische Bildung und Demokratieerziehung noch stärker als bisher als
Querschnittsthema in allen Unterrichtsfächern zu behandeln. In Zeiten, in denen
auf Sozialen Medien wie Tiktok im großen Stil Hassbotschaften, Falschmeldungen
und Verschwörungstheorien verbreitet werden, in denen zudem die künstliche
Intelligenz schnelle Antworten auf komplexe Fragestellungen liefert, muss vor
allem die Medienbildung eine zentrale Rolle bei der Demokratiebildung an den
Schulen einnehmen.
Es braucht deshalb
- Ausreichend Zeit für die Arbeit der Schüler*innenvertretung, die von der
Schule aktiv gefördert und unterstützt wird.
- Schulprojekte, die Schüler*innen demokratische Verfahren durch Erleben
näherbringen, z.B. Kontakt zu Kinder- und Jugendparlamenten oder
Jugendbeteiligungs-projekten.
- Politische Bildung als Querschnittsthema an den Schulen. Der Beutelsbacher
Konsens macht Schulen nicht zu politikfreien Zonen.
- Medienbildung, die Schüler*innen sensibel und altersgerecht in den Umgang
mit sozialen Medien bildet und
- eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ab Klassenstufe 7
sowie Gedenkstättenfahrten für alle Schüler*innen.
Begründung
erfolgt mündlich
Unterstützer*innen
- Christopher Dietrich (KV Rostock)
- Maria Diehr (KV Vorpomern-Greifswald)
- Dr. Harald Terpe (KV Rostock)
- Marcel Spittel (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Steffen Kühhirt (KV Nordwestmecklenburg)
- Tilman Buß (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Carolin Roth (KV Rostock)
- Falk Pollehne (KV Nordwestmecklenburg)
- Philipp Lübbert (KV Ludwigslust-Parchim)
- Clemens Wloczka (KV Rostock)
- Antje Brandt (KV Ludwigslust-Parchim)
- Andreas Wegner (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Brigitte Kowalsky (KV Ludwigslust-Parchim)
- Daniel Wigger (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Alexander Kieslich (KV Schwerin)
- Antje Dobers (KV Rostock)
- Ines Balke (KV Mecklenburgische Seenplatte)
- Nils Dümcke (KV Nordwestmecklenburg)
- Sylvia Karow (KV Ludwigslust-Parchim)
- Tommy Klein (KV Ludwigslust-Parchim)
- Judith Göbel (KV Ludwigslust-Parchim)
- Susan Bach (KV Landkreis Rostock)